/ Katechesen und Predigten / Zum Sonntag nach Himmelfahrt

Zum Sonntag nach Himmelfahrt

Zum Sonntag nach Himmelfahrt

„Wenn Christus zu jedem von uns meint: Sieh von dir ab, nimm dein Kreuz auf dich und folge Mir nach! – dann bedeutet das nicht nur, dass wir uns in unserem zeitlich begrenzten Dasein von jeglicher Selbstliebe freimachen und die ganze Last unseres Erdenlebens auf uns nehmen sollen, um Ihm zu folgen – zuerst in die Masse der Menschen, dann vor das Gericht, danach in den Garten Gethsemane und zuletzt hinauf ans Kreuz – und dass der, der ihm folgt, am letzten Tage auferstehen wird. Er eröffnet uns noch etwas viel Größeres. Wir sind dazu berufen, Ihm zu folgen, um – nach Seinen eigenen Worten – dort zu sein, wo Er ist, in der Herrlichkeit des ewigen Lebens in Gott.“ –aus einer Predigt zum Sonntag nach Christi Himmelfahrt von Metropolit Antonij von Sourozh
Das Fest der Himmelfahrt, dessen Licht uns immer noch umfängt, ist einer der bedeutendsten Meilensteine im Schicksal der Menschheit.
Dieses Schicksal beginnt an jenem Tag, an dem die Welt durch das machtvolle Wort ihres Schöpfers aus dem Nichts in das Sein gerufen wird. Sie steht aber dank des schaffenden Wortes Gottes nun nicht nur in ihrer zeitlichen Existenz vor dem Seinem Angesicht, sie ist vielmehr dazu geschaffen, um auf ewig an der Freude und Herrlichkeit ihres Herrn teilzuhaben. Das Schicksal der ganzen Welt und des Menschen beginnt damit, dass die Göttliche Liebe uns auf ewig eine wunderbare Freundschaft mit Sich vorschlägt. Und so hat Gott, auch nachdem der Mensch von ihm abgefallen war und durch seinen Verrat die gesamte Welt in das Leiden gestürzt hat, nie aufgehört, uns mit Seiner Liebe zu umfangen. Niemals, weder in den Stunden im Paradies noch in den dunklen Tagen, Jahren und Jahrhunderten des Umherirrens in der gefallenen Welt, hielt sich Gott von uns und der Welt fern. Er wirkte unaufhörlich in ihr und tat dies für uns. Er inspirierte in den Herzen der Menschen all das Lebendige und Wahre und sandte seine Schutzengel und die Propheten, damit diese von der Wahrheit kündeten. Und als die Zeit gekommen war, trat Gott Selbst in das Leben der Welt ein. Die Menschwerdung Christi ist der Tag, an dem Gott Selbst mit einer solchen Macht in das historische Schicksal des Menschen hineingeht, dass man es von der ewigen Göttlichen Wahrheit nun schon nicht mehr trennen kann.
Doch nicht nur in das historische Schicksal tritt der Herr ein. Durch Seine Menschwerdung hat Er mit Seiner Göttlichen Natur alles vereinigt, was Er selbst geschaffen hatte. Er kleidete sich in das Fleisch des Menschen nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern für immer und hat damit offenkundig gemacht, wie herrlich und wunderbar die von Ihm geschaffenen Welt, unserer Erde und unser Himmels, ja aller Dinge beschaffen sind.
Alles ist geschaffen nicht nur, um an Gott Anteil zu haben, sondern auch um geistig zum Gottträger zu werden. Bei der feurigen Vereinigung der Schöpfung mit der Ewigkeit ist alles Geschaffene nicht verbrannt, sondern zu neuem Leben erwacht. Es wurde verklärt und hat seine Wahrhaftigkeit und sein wahres Schicksal gefunden.
Dieses jedoch erscheint wenig. Nachdem Christus durch Seinen Tod den Tod besiegt und durch das Kreuz den Zwist zwischen Gott und dem Menschen überwunden hatte, nahm Er von uns Abschied – an jenem seligen und wunderbaren Tag – und fuhr auf zum Himmel. Es war jedoch kein wirklicher Abschied, denn der Herr hat sich, als Er zum Himmel auffuhr, von uns nicht entfernt. Der Himmel, in den Er aufgefahren ist, ist nicht das Firmament, das wir sehen. Es ist nicht diese von uns vorgestellte Weite, sondern das Mysterium der Allgegenwart Gottes. Es ist die Herrlichkeit, der Er teilhaftig war, bevor die Welt geschaffen wurde. Er fuhr hinauf zum Himmel, in die Tiefen der unergründlichen Gottheit, und trug unsere menschliche Natur, die Ihm die Jungfrau dargebracht hatte – Fleisch dieser geschaffenen Welt – mit Sich selbst in die Tiefe der Dreifaltigkeit. Der Heilige Johannes Chrysostomos hat deshalb einmal, als er versuchte zu erklären, wie großartig der Mensch ist, folgendes gesagt: Wenn du die Größe des Menschen erfassen willst, dann schau nicht auf die Paläste der Könige, sondern schau hinauf zum Himmel, zum Thron Gottes. Dort siehst du zur Rechten Gottes des Vaters den Menschensohn, gekleidet in unser Fleisch. Hier erstrahlt in unergründbarer Tiefe und unbeschreiblicher Herrlichkeit die Größe des Menschen als Bild unserer wunderbaren Bestimmung.
Wenn Christus zu jedem von uns meint: Sieh von dir ab, nimm dein Kreuz auf dich und folge Mir nach! – dann bedeutet das nicht nur, dass wir uns in unserem zeitlich begrenzten Dasein von jeglicher Selbstliebe freimachen und die ganze Last unseres Erdenlebens auf uns nehmen sollen, um Ihm zu folgen – zuerst in die Masse der Menschen, dann vor das Gericht, danach in den Garten Gethsemane und zuletzt hinauf ans Kreuz – und dass der, der ihm folgt, am letzten Tage auferstehen wird. Er eröffnet uns noch etwas viel Größeres. Wir sind dazu berufen, Ihm zu folgen, um – nach Seinen eigenen Worten – dort zu sein, wo Er ist, in der Herrlichkeit des ewigen Lebens in Gott.
Das ist es, wozu der Herr alles um unser willen vollbracht hat. Nun liegt zwischen Himmelfahrt und Pfingsten nur noch eine Woche. Wir, die wir durch die Taufe – jeder in seinem ganz eigenen Maß – zu einem Glied des Leibes Christi geworden sind und uns Jahr für Jahr bemühen, wirklich Anteil an Ihm zu gewinnen, warten nun darauf, dass wir erneut die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Diese Gabe kann mit dem Feuer des Ewigen Lebens unsere erneuerte menschliche Natur entflammen. Lasst uns deshalb diese Woche nutzen, um uns voller Ehrfurcht und nachdenklich für sie bereit zu machen, damit die lebenspendende und alles verklärende Gegenwart des Heiligen Geistes in uns mit neuer Kraft erblüht. Lasst uns in einer Woche – durch unsere Buße gereinigt – in diese Kirche treten und bereit sein, ein neues Leben in Christo und im Geiste zu beginnen und wahrhaftig und wirklich – nicht nur im Traum, sondern in der Tat – zu dem werden, wie es der Heilige Ignatius einmal bezeichnet hat: zum lebendigen Leib Christi, zu Christus, in dem die Fülle des Geistes lebt, der Geist der Sohnschaft! Lasst uns – wie es noch entschiedener Irenäus von Lyon gesagt hat – zum Eingeborenen Sohn Gottes werden, zum Einzigen Sohn! Die Gnade des Herrn und Seine Barmherzigkeit seien mit euch!
Den Heilige Geist verstehen die Kirchenväter als ein Feuer, das Wärme spendet. Er ist wie eine Flamme, das alles zum Göttlichen Leben entzünden, und eine Wärme, die bis in unser tiefstes Innere vordringen kann. Wenn wir über diese Bilder nachsinnen, dann können wir verstehen, warum man sagen kann, dass nicht alles, was wir sehen, uns auch verständlich ist. Deshalb werden wir, wenn wir etwas nicht verstehen oder sogar ablehnen, dafür nicht verurteilt werden, solange wir es nicht begreifen. Wenn wir aber durchdrungen sind von der Wärme und in unserem Innern erkannt haben, was die Wahrheit ist und sie dann negieren, dann kann uns nichts mehr retten. Denn auf diese Weise verneinen wir unser eigenes Wissen und unsere ganz persönliche Erfahrung von Gott und von der Schöpfung, ja vom Leben und von uns selbst!
Hierüber sollten wir nachdenken. Wir werden darum beten, dass die Gnade des Heiligen Geistes uns erneuern möge. Dieser Geist wurde uns im Sakrament der Myronsalbung geschenkt. Wir schaffen es, die Gnade in irgendeinem Maße zu erhalten, doch leider auch im gleichen Maße zu verlieren. Und so beten wir jedes Jahr: Herr, erneuere in uns diese Gnade! Vermehre sie! Möge doch wieder all das in uns entzündet werden, was Du am Anfang in ins zum Brennen gebracht hast.
Deshalb sollten wir uns, wenn wir uns auf den Empfang des Heiligen Geistes zu Pfingsten und am Tag des Heiligen Geistes, am Montag danach, vorbereiten, darüber nachdenken, wie wir mit den Gaben des Heiligen Geistes umgegangen sind, die uns am Anfang geschenkt worden sind! Was haben wir verachtet, was angenommen? Was haben wir bis zu welchem Grade begriffen und worin sind wir Dem Heiligen Geist treu geblieben, Der in uns lebt und wirkt? In welchem Maße bitten wir Ihn aber auch manchmal, dass Er schweigen soll, weil wir Ihn nicht hören wollen? Wie bemühen wir uns darum, Gott näher zu kommen und mehr über Ihn zu erfahren, ja mehr über uns zu erfahren und über unseren Nächsten und über die geschaffene Welt? Wie gehen wir mit dem um, was uns der Heilige Geist zu verstehen gibt? Lasst uns Buße tun, wenn wir dem keine Achtung geschenkt haben und uns für den Heiligen Geist öffnen, wo wir es noch nicht getan haben! Dann wird er in uns fahren, uns erneuern und uns einen neuen Anfang für ein neues Leben schenken.
Amen

Anthony (Bloom), Metropolitan of Sourozh

Zum Sonntag nach Himmelfahrt