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Die Welt in orthodoxer Perspektive

Die Welt in orthodoxer Perspektive

In den orthodoxen Heimatländern ist die orthodoxe Kirche anerkannt, verwurzelt und allgegenwärtig, im öffentlichen wie auch im privaten Leben, auch wenn jemand keinen intensiven Bezug zum Glauben hat. Sogar Politiker, Journalisten, Künstler, die keinen persönlichen Bezug zur Kirche haben, kennen die orthodoxe Glaubens- und Lebenswirklichkeit und sind vermutlich mehr als ihnen bewusst ist, davon geprägt. In der Diaspora und konkret in Deutschland ist das Gegenteil der Fall. Orthodoxe Tradition, orthodoxe Glaubenswelt, orthodoxe Lebenspraxis sind völlig unbekannt, werden missverstanden und oft genug mit anderen Religionen verwechselt, vor allem mit dem Islam und dem Judentum. Obwohl die orthodoxe Kirche in Deutschland die drittgrößte anerkannte Kirche und Konfession ist und Metropolit Augoustinos höchstes Ansehen genießt und bei Staatsakten und Staatsfesten als Vertreter aller Orthodoxen anwesend ist, ist die Orthodoxie in der Gesellschaft und Öffentlichkeit noch nicht angekommen und fristet vielmehr ein Dasein am Rande wie manche skurrile Sekte.

Man kann das leicht am Fernsehprogramm ablesen. In Diskussionen und Talkshows, die einen gewissen Spiegel und Querschnitt der Gesellschaft widerspiegeln wollen, treten neben Politikern, Wirtschaftsvertretern und Verbandsfunktionären auch regelmäßig katholische Kardinäle oder protestantische Bischöfinnen auf, man diskutiert mit türkischen Vertretern und noch lieber konvertierten deutschen Musliminnen, auch Juden haben einen festen Platz, ebenso wie spezielle Randgruppen oder Aussteiger, aber Orthodoxe sieht man nie. Dabei hätte ein orthodoxer Kleriker durchaus einen Originalitätsstatus, aber das ist weder den Medienmachern bewusst noch in der Gesellschaft bekannt. Ferner ist nicht einmal den Fachleuten bekannt, dass Orthodoxe eine eigene Perspektive und damit wegweisende oder zumindest hilfreiche Antworten haben, die der Gesellschaft bedenkenswert sein könnten. Und schließlich, und das ist das traurigste, hält man Orthodoxe gar nicht für gesprächs- und diskursfähig. Das beginnt mit der bezweifelten Sprachkenntnisse, geht über die unterstellte wissenschaftliche Bildung und gipfelt darin, dass man orthodox mit dogmatistisch, fundamentalistisch, indoktrinär mittelalterlich, unaufgeklärt gleichsetzt, also Orthodoxe für nicht diskussionsfähig hält. Inwieweit das orthodoxe Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit sowohl in der Diaspora als auch in den Heimatländern zu solchen verletzenden Unterstellungen Anlass gibt, sollte Sache einer kritischen und durchaus notwendigen Selbstreflexion sein, ist aber nichts für einen öffentlichen Streit.

Doch statt zu klagen über die zu geringe bzw. völlig ausfallende Wahrnehmung orthodoxer Weltsicht auf der Basis orthodoxer Tradition und der Lehre der Heiligen Väter in der heutigen deutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit sollten die bescheidenen Möglichkeiten, die in der eigenen Hand liegen, gut genutzt werden. Dazu zählt auch diese Internet-Plattform der Enomeni Romiosini, die sich an alle Orthodoxe und Nichtorthodoxe, die das Deutsche als allgemeine Kommunikationssprache pflegen, wendet und damit einen Beitrag zur allgemeinen Diskussion liefern will, den gesellschaftlichen Diskurs zu bereichern und die orthodoxe Sicht der Dinge bekanntzumachen. So kann zu vielfältigen Themen die theologische Sichtweise, die orthodoxe Perspektive, die Orthopraxie zur Sprache kommen und ins gesellschaftliche Gespräch gebracht werden. Das soll ein Beitrag zur Verwurzelung der Orthodoxie und orthodoxen Denkens sein, das sich nicht auf den innerkirchlichen und liturgischen Raum beschränkt, sondern das ganze Leben durchzieht. Dann wird vielleicht deutlich, dass Orthodoxe nicht nur Anderes glauben als Nichtorthodoxe, sondern dass sie anders glauben und leben, nämlich orthodox.

von p.Martinos

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